Kontakt
Profil
Seite zurück
Seite vor
Rechtliches & Impressum

Eintrag vom 23. Dezember 2016

Mein Blog ist nun fünf Jahre alt, so lange wie ich aktives Mitglied bei der Piratenpartei bin. Für ein so flüchtiges Medium wie das Internet ist das ein recht langer Zeitraum, auch wenn die Webseite nicht unbedingt einen großen Bekanntheitsgrad erreicht hat. Immerhin, laut der automatisch erstellten Statistik meines Providers rufen pro Monat etwa 4.000 Leute regelmäßig den Blog auf.
Das ist nicht viel in einer Zeit, in der Katzenbilder auf Twitter millionenfach angeklickt werden. Es reicht aber, um wiederkehrend unliebsame Nachrichten missgelaunter Zeitgenossen zu erhalten, die ihrem spärlichen Wortschaft Luft verschaffen müssen und anscheinend glauben, dass meine Meinung zu politischen Vorgängen und Entwicklungen eine nachhaltige Bedrohung für die Rechtschaffenheit und Beständigkeit des christlichen Abendlandes darstellen. Das ist aktuell mal wieder ein sehr verbreitetes Phänomen, und nicht alle formulieren ihre Schreiben an mich in einer so höflichen Form wie in dem verlinkten Beispiel.

Andererseits bin ich ehrlich gesagt ein wenig überrascht, dass es nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt vor knapp einer Woche nicht zu einer Steigerung dieses Mitteilungsbedürfnisses gekommen ist. Schließlich kamen die üblichen Verdächtigen bereits aus ihren Löchern gekrochen und haben sich mit Vorschlägen und Schuldzuweisungen überboten, da war noch der falsche Verdächtige verhaftet und die Terroristen nicht einmal mit ihrem Bekennervideo fertig. Die Rechtspopulisten der CDU/CSU und der AfD haben gejubelt über das schöne Weihnachtsgeschenk, dass Ihnen der IS da gemacht hat, und sich deswegen ganz artig dafür bedankt - na gut, die Präsente lagen bereits vorbereitet in der Schublade, und im Grunde genommen ist es wieder dasselbe wie letztes Jahr, aber für Innenpolitiker ist es mit Sicherheitsgesetzen wie mit Krawatten: man kann nie genug davon haben.

Die anhaltende Kritik an diesem Vorgehen stört die amtierenden Minister dabei nicht im geringsten, denn sie haben gegen die Einwände ja das "Totschlagargument" mit dessen Hilfe sie jede Warnung in den Wind und jeden Protest in die Flucht schlagen können: die Terrorgefahr. Und da hat ihnen ein fanatisierter Idiot aus Tunesien eine riesige Kiste an Munition geliefert.
Peinlich könnte man es allerdings werden wenn jemand darauf hinweist, dass all die schönen Spielsachen für die Sicherheitsbehörden ja nur ein "Add-On" zu den bereits existierenden Überwachungsmaßnahmen Sicherheitsbefugnissen darstellen. Der Täter war nach aktuellem Kenntnisstand den europäischen Sicherheitsbehörden bereits bekannt, in Italien zu einer Haftstrafe verurteilt, als Gefährder eingestuft, überwacht und abgehört worden - und es wurde mehrfach vor einer Gefahr aufgrund seines stetigen Bestrebens, sich dem IS als potentieller Selbstmordattentäter anzudienen, gewarnt.

Da hätten die Sicherheitsbehörden doch eigendlich in der Lage sein können, einen solchen Anschlag zu verhindern? Vermutlich waren sie jedoch zu sehr damit beschäftigt bereits in die Gesellschaft integrierte, jedoch formell abgelehnte afghanische Asylbewerber in sog. "sichere Gebiete" ihres Heimatlandes abzuschieben - auch wenn unser allwissender Bundessicherheitsminister Herr de Maiziere selbst nicht sagen konnte, wo sich denn diese sicheren Gebiete in Afghanistan eigendlich befinden.
Oder verfolgen die Ermittler nur die falschen Strategien? Immerhin hatte der Täter den Polizisten auch noch den Gefallen getan seinen Ausweis im Tatfahrzeug liegen zu lassen, um seine Identifizierung zu erleichtern... und dann haben die Spurensucher doch tatsächlich eine halbe Ewigkeit gebraucht, um mal einen Blick in den Fahrerraum zu werfen. Statt dessen Katzenbilder auf Twitter zu posten macht vermutlich einfach mehr Spaß, nehme ich an. Im Handschuhfach hatte wohl auch niemand nachgesehen, vermute ich mal?
Nun ja - mittlerweile kursiert die Nachricht, der Täter sei bei einem Schusswechsel in Mailand heute getötet worden. Die Berliner Polizei twitterte ein "Grazie" an ihre italienischen Kollegen. Fall abgeschlossen, auf die übliche Weise. Was für eine Überraschung.

Was mich allerdings ungemein positiv überrascht ist die Reaktion unserer Mitmenschen auf das Attentat. Angesichts der vorherrschenden Stimmung in Deutschland hatte ich befürchtet, dass keine 24 Stunden später der Mob marodierend durch die Straßen zieht, wie er es bislang (vor allem in den ostsdeutschen Gebieten) ja als wiederkehrender Freizeitsport betreibt. Statt dessen war eine Gelassenheit zu vernehmen, die in der besten norwegischen Tradition steht - obwohl das bei uns Deutschen vielleicht auch am Glühweinkonsum liegen könnte.
Ich setze meine Hoffnung aber vielmehr darauf, dass der Großteil der Bevölkerung sich durchaus bewusst ist wie man Anschlägen auf unsere Freiheit am besten begegnet: indem man sich weder von politischen Sicherheitsversprechen noch von terroristischen Drohungen beeinflussen lässt. Und stattdessen sein Leben wie bisher weiter lebt, ohne sich selbst in einen Panikmodus zu versetzen. Es geht hier nicht um einen Kampf zwischen Kulturen, sondern um - sorry, ich finde kein anderes Wort dafür: kriminelle Arschlöcher.

Unsere Freiheit, unsere Grundwerte verteidigt man nicht, indem man sie abschafft. Eine demokratische Gesellschaft kann nur durch ein friedfertiges Miteinander in gegenseitiger Toleranz bestehen. "Leben und Leben lassen" wie es so schön heißt. Ich sehe kein Hindernis, warum Muslime und Christen, Männer und Frauen, Tunesier und Deutsche, Einwohner und Flüchtlinge nicht miteinander leben können sollten.

Morgen ist der heilige Abend, eines der hohen christlichen Feste. Auch als Atheist werde ich dieses Fest feiern - unter anderem zusammen mit meiner christlichen Frau und unserem muslimischen Freund. Und daran werden mich weder fanatisierte Möchtegern-Heiliger-Krieger noch verblendete Nationalisten hindern können.

"Kein Friede auf Erden ohne Menschen guten Willens."

Amanda Marteleur